Auf umkämpften Märkten geht es immer darum, wer die anderen am nachhaltigsten beeindruckt. In der Natur geht es darum, wer den besten Zugang zu Nahrung und Partnern hat, um die meisten Nachkommen in die Welt zu setzen und großzuziehen. Auf dem Musikmarkt geht es darum, wer die meisten Platten verkauft, die meisten Konzertbesucher anlockt, das meiste Geld verdient. Letzteres dient auch nur dazu, um damit den besten Zugang zu Partnern zu haben, um viel Nachkommen in die Welt zu setzen.
Dabei gibt es die Option, den anderen durch aggressives Verhalten einzuschüchtern oder mit einer guten Show zu brillieren.
Alle Lebewesen, die sich sexuell vermehren, verausgaben sich auf bestimmte Weise um ihren gewünschten Partner für sich zu gewinnen, und sei es nur für wenige Sekunden. Häufig müssen sich dabei die Männer etwas mehr ins Zeug legen als die Damen. Unendliche Beispiele belegen die zum Teil albern anmutenden Versuche den Partner zu beeindrucken und dieses im Übrigen nicht nur bei den Tieren.
Von besonderem Interesse für den auswählenden Partner ist dabei die Frage, inwieweit die Präsentationen des werbenden Partners aufrichtig sind ("honest signals") oder ob die Möglichkeit zum Betrug und zur Manipulation besteht.
Ein Hirsch kann noch so beeindruckende Brunftschreie ausstoßen, um das Herz einer Hirschkuh zu gewinnen. Diese locken die potentiell interessierte Damen zwar in die Nähe, aber letzten Endes entscheiden Merkmale bei denen man nicht Schummeln kann, über die Wahl zum Vater ihrer Kinder.
An der Pracht seines Geweihs lässt sich beispielsweise beim Hirsch der tatsächliche Allgemeinzustand ablesen. Die mit jedem Jahr hinzugewonnene (Über-) Lebenserfahrung wird mit einer neuen Verzweigung honoriert. Damit demonstriert das prächtigste Geweih die beste Gesundheit und verspricht den fittesten Nachwuchs. Für mehr interessieren sich die Hirschkühe leider auch nicht.
Nicht sehr viel anders verhalten sich die Konsumenten von Musik. Ein gutes Marketing und ein glänzendes CD-Cover locken den geübten Anhänger klassischer Musik nur in die Nähe, vielleicht in ein Konzert, bestenfalls noch bis an die Kopfhörer des Plattenladens. Über die tiefere Bindung an die Musik in Form einer gekauften CD entscheidet die Authentizität. Die ist naturgemäß bei einem Live-Mitschnitt deutlicher sichtbar, als bei einer Studioaufnahme, wo alle Note einzeln gespielt und zusammengeschnitten werden können.
Mag sein, dass die Arbeit im Studio durch die ewigen Wiederholungen und Neueinspielungen schweißtreibender ist, als ein aufgezeichneter Konzertabend. Aber warum sollte sich der Hörer dafür interessieren, wie eine sterile und stimmungsneutrale Studioaufnahme entsteht?
Auch wenn Authentizität und Sensemaking gerade zu den erfolgreichsten und charismatischsten Vokabeln des Jahres zählen, wirkt es dennoch, als sei die Zeit des schönen Scheins und des großen Bluffens vorbei.
Menschen lieben Dinge und Geschichten die real sind. Ein Konzert bietet dieses Erlebnis und ein Live-Mitschnitt ermöglicht dem Hörer die Erinnerung an ein positiv erlebtes Gefühl, vergleichbar mit einem Mitbringsel von einer schönen Reise.
Live-Mitschnitte bei Gitarrenkonzerten sind wie bei allen anderen Konzerten auch honest signals und damit ein Bekenntnis des Musikers. Hört man doch nicht nur einzelne Räusperer des Publikums, sondern auch mögliche Fehler im Spiel.
Man sieht nicht nur mit dem Herzen gut, man hört auch mit ihm. Nur lassen sich Herz und Verstand selten vereinen, entweder hat das Herz Vorrang oder der Verstand. Im Zweifelsfall wird oft das Herz dem Verstand geopfert, was gerade bei klassischer Musik sehr schade ist. Live-Mitschnitte in der klassischen Musik könnten eine der Brücken sein, über die sich Publikum und Künstler annähern.
Ich weiß nicht, wer die Überzeugung prägte, dass fehlerfreie Plattenaufnahmen das non plus ultra für den Hörer seien. Das Publikum hält sich ja gerne an kleinen Fehlern auf und das macht auch Sinn, weil genau das die Musik menschlich, nicht gewöhnlich macht.