Eine empirische Untersuchung zum Einfluss psychosozialer Faktoren auf das Erleben der Menopause (1999)

An empirical study of the influence of psycho-sociological factors during the menopause. Fortpflanzungsbiologie und Reproduktionsmedizin Band 1 (Taschenbuch)

Einleitung

Der Lebenszyklus der Frau ist durch ein beinahe einmaliges Merkmal innerhalb der Säugetiergruppe gekennzeichnet. Unabhängig von der Lebensspanne verliert sie die Reproduktionsfähigkeit, lange bevor andere physiologische Erscheinungen des Seniums auftreten. Das Ende der fertilen Phase macht sich durch die ersten involutionsbedingten Unregelmäßigkeiten des Menstruationszyklus sowie durch den Beginn eines typischen Beschwerdekomplexes bemerkbar. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimakterium der Frau findet zumeist unter endokrinologischen Gesichtspunkten statt, während sich die vorliegende Untersuchung mit der Bedeutung psychosozialer Faktoren für das Erleben des Klimakteriums auseinandersetzt.

Material und Methode

Einer hinsichtlich soziodemographischer Parameter nahezu repräsentativen Stichprobe von 280 Frauen aus Deutschland wurde in einer anonymen, schriftlichen Erhebung ein Fragebogen zum Wohlbefinden (Menopause-Bewertungsskala nach Hauser et al. 1994, sowie Fragen nach Gesundheitszustand, Medikation, Arztkonsultationen, und beruflicher Situation mit eigenen Ergänzungen) und das Bem-Sex-Role Inventory (Bem 1977) gegeben, von denen mit einer Rücklaufquote von 66,4%, 186 Fragebogensätze zurückkamen. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 54,2 Jahre (42-65 Jahre).

Ergebnisse und Schlußfolgerungen

Die klimakterischen Frauen gaben mehrheitlich kaum Beeinträchtigungen auf der Menopause-Bewertungsskala, keine Einschränkungen im Alltag, keine Beeinträchtigungen bei der täglichen Arbeit und den Sozialkontakten an. Eine Hormontherapie zur Behandlung des klimakterischen Syndroms wende-ten 45% der Frauen zum Zeitpunkt der Erhebung an, zeigten aber keinen messbaren Vorteil im Befinden gegenüber Frauen ohne Hormontherapie.

Einflussfaktoren wie sozioökonomischer Status, Erwerbstätigkeit, Fertilität, Geschlechtsrollenidentifikation und Verlust oder schwere Krankheit nahestehender Personen zeigten keinen Zusammenhang mit klimakterischen Beschwerden. Es findet sich aber eine Korrelation zwischen einer negativ gefärbten Erwartungshaltung (Nachlassen der Gesundheit, Erwartung von Beschwerden, Attraktivitätsänderung) und den erlebten Beschwerden. Je zufriedener die Frauen mit ihrem Leben in verschiedenen Bereichen (Partnerschaft, Familie, Hauptbeschäftigung) waren, desto weniger fühlten sie sich durch die Menopause belastet. Sexuelle Aktivität zeigte unabhängig von einer Partnerschaft eine positive Wirkung auf typische Menopausebeschwerden und auch auf das gesamte Befinden. Probleme wie Trennung, häufiger Streit und sexuelle Probleme drückten sich dagegen hochsignifikant in stärkeren Beschwerden aus.

Im Vergleich zu klinischen Stichproben wird die Zeit des Klimakteriums in dieser Stichprobe so viel positiver erlebt, dass diskutiert werden kann, ob dieser Befund nicht eine Stützung der "Großmutter-Strategie" in der evolutionsbiologischen Forschung zum Reproduktionsverhalten liefert.

Kurzfassung

Frauen für (Wechsel)Jahre in der Krise?

Der Lebenszyklus einer Frau ist durch ein beinahe einmaliges Merkmal innerhalb der Säugetiergruppe gekennzeichnet. Eine Frau verliert unabhängig von der Lebensspanne die Reproduktionsfähigkeit, lange bevor andere physiologische Erscheinungen des Alterns auftreten. Trotz einer allen Frauen zugänglichen Hormontherapie leiden einige Frauen mehr als andere unter einem für diese Zeit typischen Beschwerdekomplex.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimakterium und der Frau in dieser Zeit erfolgte zunächst fast ausschließlich von Seiten der Medizin. das Klimakterium "ist ein ernstzunehmender klinischer Zustand, der Gesundheit und Glück jeder Frau bedrohen kann. Wechseljahre sind eine Krankheit, die ohne Medikamente unheilbar sind" (Zitat Wilson, 1966)

"Die Frau gerät in einen Zustand eines hormonellen Defizits und verbringt ein Drittel ihres Lebens in einem hormonellen Mangelzustand" (Zitat Eicher & Mück, 1994)

"...wird die ältere Frau zu einer häßlichen Hexe mit Rundrücken, Hängebauch, Urininkontinenz, Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen. Sie ist körperlich und erotisch unattraktiv, vergleichbar mit einem alten Fahrzeug, dessen Motor nicht mehr funktioniert." (zitiert nach Buddeberg & Buddeberg-Fischer, 1995)

Diese sprachlichen Defektbezeichnungen sind ein Hinweis auf die Einschätzung und Bewertung klimakterischer Frauen in unserer Gesellschaft. Der entwertende und entwürdigende Umgang mit Frauen in der Organmedizin ist ein ernstzunehmendes Hindernis für eine angemessene Behandlung und eine adäquate Selbstreflexion älter werdender Frauen.

Medizinisch-klinische Studien in Deutschland belegen, dass mindestens 2/3 aller Frauen in den Wechseljahren behandlungsbedürftig sind. Zur Osteoporoseprävention sei es sogar nötig 100% der Frauen mit Medikamenten zu versorgen.

Die Ergebnisse meiner hinsichtlich demografischer Daten annähernd repräsentativen Untersuchung zeigen, dass die Belastung durch klimakterische Beschwerden längst nicht so hoch ist, wie in vorangegangenen Studien beschrieben. Dabei ist es wichtig zwischen den subjektiven Beschwerden und der dadurch empfundenen Belastung zu unterscheiden.

70% der befragten Frauen erfreuen sich nach eigenen Angaben ausgezeichneter Gesundheit und fühlen sich kaum durch die Menopausebeschwerden beeinträchtigt.

Das Klimakterium ist ein physiologischer Prozess, der nicht mit behandlungspflichtiger Krankheit gleichgesetzt werden sollte und damit in eine medizinische oder psychologische Betreuung gezwungen wird. Wie die Mehrzahl der Frauen beweist, ist dies auch nicht notwendig.

Es ist zu überlegen, wie das stark durch die pharmakologische und medizinische Forschung geprägte Bild von der klimakterischen Frau mit Schweißausbrüchen und Depressionen sich mit dem täglichen Anblick den überwiegend gesunden, arbeitenden Frauen diesen Alters in unserer nächsten Umgebung vereinbaren läßt.

Möglicherweise sind die Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass es eine biologische Notwendigkeit gibt, dass Frauen weit vor dem Lebensende ihre Fruchtbarkeit aufgeben.

Ob die Menopause ausschließlich als kulturelles Artefakt betrachtet werden kann, muss in einer anderen Untersuchung festgestellt werden. Im Vergleich zu klinischen Stichproben wird die Zeit des Klimakteriums in dieser Stichprobe so viel positiver erlebt, dass diskutiert werden kann, ob dieser Befund nicht eine Stützung der "Großmutter-Strategie" in der evolutionsbiologischen Forschung zum Reproduktionsverhalten liefert.

Definition

Das Klimakterium ist der Übergang von der fruchtbaren in die unfruchtbare Phase der Frau, bedingt durch das Erlöschen der zyklischen Ovarialfunktion. Es umfasst die Jahre vor und nache der Menopause (der letzten vom Ovar-Eierstock gesteuerten uterinen Blutung) und kann mit einem typischen, aber nicht spezifischen Beschwerdekomplex einhergehen. Das führte zu der Vermutung, dass auch andere Ursachen als hormonelle Unausgeglichenheit eine Rolle in der Bewältigung dieser Lebensphase spielen.

Das Klimakterium findet zwischen Kultur und Biologie statt, wenn man Kultur als Richtlinie definiert, nach der sich Mitglieder einer Gesellschaft zu verhalten haben, welche Sicht sie auf Dinge haben, wie sie spezifische Erfahrungen empfinden. So würden z.B. 80-90% der Japanerinnen keine medizinische Hilfe eines Gynäkologen für die klimakterischen Beschwerden in Anspruch nehmen, weil die Symptome dem geschlechtsunabhängigen Altern zugeordnet werden.

Es gibt verschiedene evolutionsbiologische Theorien, warum Frauen einen Lebensabschnitt wie die Menopause durchmachen müssen.

Als kulturelles Artefakt wird die gesteigerte Lebenserwartung der Frauen in den letzten 100-200 Jahren genannt. Die Frauen sterben nicht mehr vor Eintritt der Menopause. Zum anderen wird mit Hilfe der Alterungstheorie erklärt, dass junge Menschen eine bessere Gesundheit haben als ältere und es daher energietechnisch besser ist, im Alter die Reproduktion als nicht primär lebenserhaltende Funktion zu vernachlässigen.

Weitere adaptive Theorien halten die Menopause für eine Schutzfunktion. Mit zunehmendem Alter der Mutter steigen die angeborenen Defekte bei Kindern exponential an. Die Menopause schützt also die Gesamtheit der Nachkommen vor einer zu hohen Belastung durch Erbschäden.

Die Theorie der "Counter-Strategy" oder "Großmutter-Strategie" geht davon aus, dass eine Mutter relativ frühzeitig im Leben wieder unfruchtbar wird, aber sonst gesund ist, ihre Kinder bis zur eigenen Reproduktion begleiten kann und möglicherweise sogar darüber hinaus. Das bedeutet, dass eine Großmutter eine große Stütze in der Aufzucht ihrer Enkelkinder sein kann. Wären die Frauen in den Wechseljahren, also zur Zeit der ersten Enkelkinder aber tatsächlich so krank, wie klinische Studien es der Öffentlichkeit weismachen, wären sie keine sehr große Stütze in der Versorgung der Enkelkinder. Damit wäre diese Theorie dann auch wieder widerlegt. Da die Männer nicht so intensiv in die Aufzucht ihrer Kinder eingebunden sind, gibt es auch keine plötzliche Entlastung, wenn sie keine Kinder mehr versorgen und daher gibt es auch keinen Grund für den männlichen Organismus die Reproduktion so abrupt abzubrechen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort
  2. Einleitung
    1. Biologische Grundlagen der Menopause
    2. Psychosoziale Aspekte
    3. Kulturanthropologische Ansätze
  3. Hypothesen
  4. Material und Methoden
    1. Auswahl der empirischen Instrumente
      1. Fragebogen zum Wohlbefinden
      2. Persönlichkeitstests
        • Bem-Sex-Role-Inventory (BSRI)
        • Aggressionsfragebogen (EXPAGG)
    2. Auswahl der Untersuchungsgruppe
    3. Datenerhebung
    4. Die angewandten statistischen Methoden
  5. Ergebnisse
    1. Darstellung der Stichprobe - Deskriptive Statistik
      1. Die soziodemographischen Variablen
        • Alter
        • Wohnort und Erwerbstätigkeit
        • Schwangerschaft und Geburten
        • Partnerschaft und Haushaltszusammensetzung
      2. Die Zuordnung zum Klimakterium
        • Zuordnung zu den klimakterischen Phasen und Alter
        • Anwendung der Hormontherapie und weiterer mMedikamente, Arztbesuche
        • Häufigkeit bestehender Erkrankungen und Operationen
        • Schwitzen durch Sport bzw. körperliche Bewegung
      3. Soziale Einflußfaktoren
        • Charakterisierung der Partnerschaft
        • sexuelle Aktivität
        • Ereignisse des letzten Jahres
        • Derzeitige Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen
        • Bedeutung der Wechseljahre
      4. Menopause-Daten
        • Menopause-Bewertungsskala: Ergebnisse
        • Beeinträchtigungen durch klimakterische Beschwerden
        • Ergebnisse zum Befinden der Frauen
        • Einschränkungen im Alltag durch die klimakterischen Beschwerden
        • Beeinträchtigungen im Sozialkontakt durch die Menopausebeschwerden
        • Gesundheitsempfinden
      5. Das Bem-Sex-Role Inventory (BSRI): Ergebnisse
      6. Revidierte Form des EXPAGG: Ergebnisse
    2. Analytische Statistik
      1. Menopausebeschwerden
        • und Einschränkungen, Beeinträchtigungen im täglichen Leben
        • und im Haus lebende Kinder
        • und Partnerschaft
        • und sexuelle Aktivität
        • und Erwerbstätigkeit
        • und Wohnort
        • und Verlust naher Bezugspersonen
        • und Fertilität
        • und Hormontherapie und nichthormonelle Medikamente
        • und sozio-ökonomischer Status
      2. Zusammenhang zwischen Geschlechtsrollenidentifikation und Menopause-Daten
      3. Einstellung zu verbaler Aggressivität und Menopause-Daten
  6. Diskussion
  7. Zusammenfassung
  8. Quellen
  9. Anhang: Fragebogen-Übersichten

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